Auf einem kleinen Schiff in der Nähe von Hamburg leben die Möwe Molle und der alte Seemann Hanno. Früher war das Schiff mal ein Kutter, aber Hanno fängt schon lange keine Fische mehr. Seine Netze sind jetzt Hängematten und fangen nur noch den dicken Hund Piet. Der schnarcht gerade laut in einem der Netze. Die Abendsonne lacht ihm ins Gesicht und seine Pfoten zucken lustig hin und her. Da kommt Molle auf Deck und sieht gar nicht glücklich aus. „Och Hanno, ich kann nicht einschlafen!“, jammert das Möwenmädchen. Ihre Federn sind ganz strubbelig. Und ihre rote Wollmütze sitzt schief auf dem Kopf. Dabei ist Molle ein ganz besonders hübsches Möwenmädchen und außergewöhnlich! Während andere Möwen Pommes klauen, kocht Molle lieber bunte Leckereien. Milchreis ist ihr Leibgericht, nur mit dem Umrühren will es manchmal nicht so gut klappen. Aber wozu hat man einen Schnabel! Eigentlich ist Molle auch ein sehr fröhlicher Vogel, aber diese Sache mit dem Schlafen scheint sie doch zu wurmen. Sie gähnt lauthals in den Wind. „Ich schlaf einfach gar nicht mehr!“, mault sie beleidigt. Endlich schaut Hanno von seiner Zeitung hoch, stellt seinen Kaffee zur Seite und blickt Molle an. „Warum schläfst du denn so schlecht? Du siehst auch ganz zerzaust aus!“ „Mein Bett nervt. Es zwickt hier und es zwackt da!“, antwortet sie schnippisch und zeigt auf ihre verdrehten Federn. „Mmh, aber du schläfst bereits seit Kükentagen in meiner alten Seemannsmütze. Was ist denn nun anders?“ Das wusste Molle auch nicht. Müde watschelt sie auf dem Deck auf und ab. Sie grübelt: „Warum muss man überhaupt schlafen?“
Plötzlich springt Hanno auf, rumpelt unter Deck und kommt mit einem großen Buch zurück. Er blättert, liest, brummt, liest und blättert. Was sucht der denn jetzt? Molle hat ein Problem und braucht Hilfe! Ungünstig von Hanno, jetzt ein Buch zu lesen. Ihr ist das zu doof. Beleidigt breitet sie ihre Flügel aus und fliegt Richtung Hafen. Oh weh, Molle, einfach abhauen ist aber auch nicht die feine Art! Irgendjemand muss ihr doch helfen können?! Alle anderen Tiere schlafen doch auch. Oder? Gibt es Tiere, die gar nicht schlafen? „Hallo Molle!“, ruft es aus dem Wasser. „Hey, Walter!“ Der Schweinswal ist mit seiner Familie wieder zu Besuch in Hamburg. Molle freut sich. Nur selten sieht man die Tiere so nah. Sie sehen aus wie minikleine Wale und sind total lieb. Molle winkt fröhlich mit dem Flügel und kreischt aus der Luft: „Wie schlafen eigentlich Wale?“ Walter kommt an die Wasseroberfläche. „Wir schlafen nie lange und ruhen uns immer nur kurze Zeit aus, dafür aber häufiger.“ Molle findet das spannend. Vielleicht sollte sie das auch machen? Immer nur kleine Schlummerpausen. „Hast du schon mal versucht gar nicht zu schlafen?“, löchert sie Walter weiter. Der lacht und schüttelt seine Flossen. „Nein! Schlafen ist doch was Tolles! Stell dir mal vor, alle Menschen und Tiere würden nie schlafen! Das wäre ein Chaos, das geht nicht. Die Hafenarbeiter zum Beispiel, die müssen immer gut ausgeschlafen sein. Sonst sortieren sie noch die Ladungen für die Schiffe verkehrt.“ Mmh. Molle denkt nach. Walter hat Recht. Dann wären alle müde und schlecht gelaunt. So wie sie gerade. Ob Hanno wohl böse ist, dass sie einfach abgehauen ist? Höchste Zeit nach Hause zu fliegen, die Sonne ist schon fast untergegangen.
Auf dem Schiff wartet Hanno ganz aufgeregt: „Molle, ich habe eine Überraschung für dich! Du bist einfach zu groß geworden für dein Bett und meine Mütze. Das ist ganz normal, du bist eben gewachsen!“, sagt er aufgeregt. „Das ist dein neues Bett!“ „Wo?“, fragt Molle und runzelt ihr Gefieder. Er zeigt auf den großen Kochtopf. „Wie bitte?! Jetzt willst du mich essen? Nur, weil ich nicht schlafen wollte? Du spinnst wohl!“, mault Molle ihn an. Hanno lacht laut. „Nein! Da ist Wasser drin. Du kannst auf dem Wasser schlafen. Das ist eine Art Wasserbett. Ich habe ein wenig gelesen, manche Möwen finden das toll. Sie fliegen sogar zum Schlafen aufs Meer. Und damit du nicht direkt auf der Elbe schlafen musst, habe ich den Topf rausgesucht.“ Molle ist beeindruckt. Das hatte Hanno also nachgeschaut in diesem dicken Buch. Wie lieb von ihm! Jetzt hat sie ein ganz schlechtes Gewissen. Sie schwingt sich auf den Topfrand und lässt sich mit einem leisen Platsch ins Wasser gleiten. „Ui, das wackelt schön!“, sagt Molle leise. Sie steckt ihren Schnabel unter das Gefieder und wird ganz ruhig. Ist das gemütlich. Das Wasser ist warm und Molle schaukelt hin und her, immer weiter in den Schlaf. „Wusstest du, dass Schweinswale immer nur ganz kurz schlafen?“, flüstert sie noch. Hanno nickt und lächelt. Seine Molle ist eine ganz schön kluge Möwe. Schlaf gut, kleines Möwenmädchen!
Illustrationen von Diana Kohne von handundmaus.de